Corona: Bundesgerichtshof verurteilt Richter wegen eigener Meinungsbildung

Corona: Bundesgerichtshof verurteilt Richter wegen eigener Meinungsbildung- 2

Bei der Verurteilung des „Maskenrichters“ Christian Dettmar ging es im Wesentlichen darum, dass er sich weigerte, eine von „offiziellen Quellen“ diktierte Meinung zu akzeptieren. Letztlich geht es darum, den Vorwurf des systematischen Versagens der Justiz in der Corona-Krise zu entkräften.

Der Weimarer Familienrichter Christian Dettmar hatte am 8. April 2021 zwei Schulen das Tragen von Masken, die Einhaltung von Mindestabständen und die Teilnahme an Corona-Schnelltests untersagt. Daraufhin leitete die Staatsanwaltschaft Erfurt gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt ein und durchsuchte unter anderem sein Büro und seine Privatwohnung. Am 23. August 2023 verurteilte das Landgericht Erfurt Dettmar wegen Rechtsbeugung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Am 20. November 2024 bestätigte der 2. Senat des Bundesgerichtshofs in der Revision das Urteil. Nach der Begründung des Bundesgerichtshofs sollen Aspekte wie die Frage, ob der Angeklagte eine Kindeswohlgefährdung abwenden wollte oder nicht, ob die Maskenpflicht in den Schulen wirksam war oder nicht, ob sie das Kindeswohl gefährdete oder unschädlich war, ob sie verhältnismäßig oder letztlich verfassungswidrig war, für die Frage eines elementaren Rechtsverstoßes unerheblich sein. Matthias Guericke kommentiert die nun vorliegende schriftliche Urteilsbegründung.

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Bild: www.aerztezeitung.de

Am 20. November 2024 wurde in Karlsruhe das Berufungsurteil des 2. Strafsenats im Strafverfahren gegen den Richter Christian Dettmar (Az. 2 StR 54/24) verkündet und mündlich begründet. Eine kurze Vorbemerkung dazu ist bereits auf dieser Website erschienen (Achgut berichtete). Seit dem 7. Februar liegt die schriftliche Urteilsbegründung vor, so dass nun eine umfassende Kritik des Urteils möglich ist. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die Urteilsbegründung muss jeden Juristen sprachlos machen, unabhängig davon, wie er zu den Corona-Maßnahmen steht. Nur durch die Verletzung einer Grundregel der rationalen Argumentation kommt der Senat zu der Ablehnung der Berufung.

Die Kritik erfolgt in folgenden Schritten:

Zunächst wird dargelegt, welche Handlungen dem Angeklagten nach Auffassung des Senats im Hinblick auf den Vorwurf der Rechtsbeugung (kriminelles Verhalten) zur Last zu legen sind. Sodann – und dies ist bereits der erstaunliche Höhepunkt der Argumentation des Senats – wird dargelegt, inwieweit er den für die Rechtsbeugung erforderlichen elementaren Rechtsverstoß als gegeben ansieht. Die Argumentation zum strafrechtlichen Erfolg wird übersprungen, weil zur Verständlichkeit für Nichtjuristen komplizierte und langwierige Ausführungen notwendig wären, die der Kritik letztlich nichts Entscheidendes hinzufügen würden. Daher schließt sich die Erörterung des Vorsatzes unmittelbar an. Der Schluss ist ein Versuch zu erklären, wie ein solches Urteil überhaupt möglich ist.

Das kriminelle Verhalten

Das Landgericht Erfurt hatte in seinem Urteil vom 23. August 2023 (1) ausgeführt, der Vorwurf der Rechtsbeugung ergebe sich weder aus der Übernahme der eigenen Zuständigkeit noch aus einer Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Nichtanhörung der Kinder und Eltern vor der Entscheidung oder durch die Verwertung von Sachverständigengutachten vor der Gewährung des rechtlichen Gehörs der anderen Beteiligten. Sie ergebe sich auch nicht aus einem Verstoß gegen den Zuständigkeitsplan durch die Einbeziehung von Kindern in die Entscheidung, für die Richter Dettmar nicht zuständig sei. Diese Vorwürfe aus der Anklageschrift waren allesamt keine elementaren Rechtsverstöße im Sinne des § 339 StGB (Urteil, S. 124 f.).

Der Angeklagte hatte sich jedoch der Rechtsbeugung schuldig gemacht, indem er „die richterliche Unabhängigkeit aus sachfremden Motiven missachtete“ und das Verfahren „gerade wegen seiner Befangenheit und Voreingenommenheit“ führte (Urteil, S. 125). Die Rechtsbeugung soll also darin bestehen, dass Richter Dettmar das Verfahren sozusagen „in einem Zustand der Befangenheit“ geführt hat. Ein dem Angeklagten zuzurechnendes Verhalten, etwa bei der Auswahl der Sachverständigen, sollte nach der Auffassung des Landgerichts nicht den Vorwurf der Rechtsbeugung selbst begründen, sondern nur die Befangenheit beweisen.

Auf der Website des KRiStA (2) wurde bereits ausführlich dargelegt, dass im Falle der Befangenheit nur die Unterlassung der Selbstanzeige nach § 6 FamFG i. V. m. § 48 ZPO als Vorwurf in Betracht kommt, weil die Selbstanzeige, über deren Berechtigung ein anderer Richter zu entscheiden hat, die Handlungspflicht ist, die sich für einen Richter aus der Besorgnis der eigenen Befangenheit ergibt. Ein Selbstablehnungsrecht, mit dem er sich aus dem Verfahren „entfernen“ könnte, besteht dagegen nicht.

Mangelnde Neutralität (3) und Befangenheit können natürlich auch die Ursache für konkrete Verfahrensverstöße sein. Verstößt ein Richter jedoch weder gegen Verfahrensvorschriften noch gegen materielles Recht, kann mangelnde Neutralität niemals den Vorwurf der Rechtsbeugung rechtfertigen. Letztlich zählen nur die konkreten Rechtsverstöße, denn das Strafrecht sanktioniert nur äußeres Verhalten, nicht aber innere Einstellungen. Rechtmäßiges Handeln, das mit der „falschen“ inneren Einstellung erfolgt, bleibt rechtmäßig.

Der Senat nimmt keinen Anstoß an der merkwürdigen Darstellung der Straftat durch das Landgericht. Erstaunlicherweise wird die Pflicht zur Selbstanzeige bei Besorgnis der Befangenheit im gesamten Urteil nicht ein einziges Mal erwähnt (4). Stattdessen heißt es, das Landgericht habe „rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Angeklagte unter bewusster Missachtung von Verfahrensvorschriften – teilweise verdeckt, von vornherein zielgerichtet und interessengesteuert – ein familiengerichtliches Kinderschutzverfahren eingeleitet, befangen geführt und durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung seine vorgefasste Meinung von Anfang an durch die ihm zugewiesene Funktion verwirklicht und damit objektiv und subjektiv den Tatbestand des § 339 StGB erfüllt hat“ (Rn. 36) (5). Gleichwohl kommt im Urteil des Senats den (angeblichen) Verfahrensverstößen eine eigenständige Bedeutung zu, der Vorwurf der Missachtung des richterlichen Neutralitätsgebots kommt hinzu bzw. umfasst alles, wie noch näher darzulegen sein wird.

Vom Vorwurf der Rechtsbeugung bleibt nichts übrig

Der Senat sieht in dem von Richter Dettmar geführten Verfahren drei Verstöße gegen Verfahrensvorschriften:

(1) Er stellt zunächst fest, dass die Strafkammer zu Recht davon ausgegangen ist, dass der Beklagte bereits bei der Einleitung des Verfahrens in elementarer Weise gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (Rn. 37), indem er trotz seiner Befangenheit auf ein entsprechendes Verfahren in seinem Zuständigkeitsbereich hingewirkt hat. Er räumt dann aber ein, dass ein Kinderschutzverfahren nach § 1666 BGB stets von Amts wegen eingeleitet wird und der Beklagte daher das Verfahren selbst einleiten durfte, wenn hinreichende Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen (Rn. 41). Der Senat führt sogar aus, dass die Anregung eines Verfahrens nach § 1666 BGB auch durch den zuständigen Richter schriftlich festgehalten werden kann und die Beteiligten auch inhaltlich unterstützt werden können (Rn. 41). Aus Sicht des Senats durfte Richter Dettmar daher nicht nur das Verfahren einleiten, sondern es war auch nicht zu beanstanden, dass er einen Entwurf des schriftlichen Vorschlags der Eltern für die beiden Kinder durchgesehen und Korrekturen vorgenommen hat, bevor er dem Gericht vorgelegt wurde. Man könnte meinen, dass von dem Vorwurf eines elementaren Rechtsverstoßes bei der Verfahrenseröffnung, der im Urteil des Landgerichts von zentraler Bedeutung ist, nichts übrig bleibt. Fast nichts, denn der Senat hat noch etwas zu bemängeln: Er stellt fest, dass Richter Dettmar einen Aktenvermerk über die Hilfe bei der Antragstellung und über seine eigene vorgefasste Meinung hätte machen müssen (Rn. 41)…. Dieser Vorwurf wirkt im Rahmen eines Rechtsbeugungsverfahrens geradezu kurios. Nirgendwo im Gesetz ist ausdrücklich geregelt, wann ein Richter einen Aktenvermerk anfertigen muss und wann nicht (6). Ob z.B. ein Telefonat – der vielleicht häufigste Anlass für Aktenvermerke – vermerkt wird, wird von Fall zu Fall unterschiedlich gehandhabt. Dies wird vor allem dann erforderlich sein, wenn mit einem Verfahrensbeteiligten etwas Wesentliches besprochen wurde und bei einem anderen Verfahrensbeteiligten die Besorgnis der Befangenheit entstehen könnte, wenn der Inhalt nicht in den Akten dokumentiert würde. Hier hat der Senat jedoch selbst festgestellt, dass die Mithilfe bei der Antragstellung rechtlich unproblematisch war. Sicherlich hätte Richter Dettmar einen Vermerk darüber anfertigen können, aber warum die Kenntnis dieses Vorgangs für die anderen Beteiligten so wichtig sein könnte, dass durch seine Unterlassung „wesentliche Grundsätze des Verfahrens in Kindersachen“ verletzt würden, wie der Senat in hohem Ton behauptet (Rn. 41), ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Und die „vorgefasste Meinung“ des Richters Dettmar wurde den anderen Beteiligten bereits mit der Einleitung des Verfahrens deutlich gemacht. Es gibt keinen Grund, dass ein Familienrichter bei der Einleitung eines Kinderschutzverfahrens in einem Aktenvermerk festhält, dass er Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung sieht.

Kindeswohlgefährdung durch Maskenpflicht in der Schule

(2) Der zweite Verfahrensmangel soll in der Auswahl der drei Sachverständigen Prof. Kämmerer, Prof. Kappstein und Prof. Kuhbandner liegen. Es erscheint kaum vorstellbar, dass der Senat an dieser Stelle die Absurdität der Argumentation des Landgerichts nicht erkennen würde, das letztlich ausgeführt hatte, dass die drei Gutachten zwar inhaltlich nicht zu beanstanden seien, der Beklagte diese Sachverständigen aber dennoch nicht hätte auswählen dürfen, weil sie – wie er selbst – den Maßnahmen kritisch gegenüberstünden.

Der Senat verweist (Rn. 43) auf die Kriterien für die Auswahl von Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren, wie die Orientierung an der fachlichen Kompetenz und, bei gleicher Sachkunde mehrerer Sachverständiger, die Auswahl nach pflichtgemäßem Ermessen, wobei keine sachfremden Motive eine Rolle spielen dürften, um dann zu behaupten, der Beklagte habe eine Auswahlentscheidung getroffen, die diesen Maßstäben nicht entspreche, weil er die Sachverständigen „ergebnisorientiert und nach dem Maß ihrer wissenschaftlichen Überzeugung entsprechend seiner vorgefassten Meinung“ ausgewählt habe (Rn. 44). Die Auswahl der Sachverständigen war zwar insofern „ergebnisorientiert“, als Richter Dettmar auf wissenschaftlich überzeugende Gutachten zu den gestellten Fragen hoffte, während er dies bei anderen möglichen Sachverständigen für weniger wahrscheinlich hielt. Zu einer solchen „Ergebnisorientierung“ ist aber jeder Richter geradezu verpflichtet, sie ist nichts anderes als eine Orientierung an der fachlichen Kompetenz. Ein Vorwurf könnte Richter Dettmar nur gemacht werden, wenn er davon ausgegangen wäre, dass die Sachverständigen „falsche“ Gutachten abgeben würden. Dies ist aber absurd und wird auch vom Senat nicht behauptet.

(3) Der dritte Vorwurf lautet, die Beklagte habe das rechtliche Gehör erheblich verletzt, indem sie weder die von der Anordnung betroffenen Kinder noch die Eltern vor der Entscheidung angehört habe. Ein Grund im Sinne des § 159 Abs.. 3 FamFG, § 160 Abs.. 3 FamFG für den Verzicht auf die Anhörung vor der Entscheidung – hier käme nur Gefahr im Verzug in Betracht – habe nicht vorgelegen. (Rn. 44 f.)

Richtig erscheint, dass Richter Dettmar zumindest die beiden Kinder, deren Eltern das Verfahren angeregt haben, und deren Eltern vor der Entscheidung persönlich hätte anhören müssen, weil dafür seit Einleitung des Verfahrens eigentlich genügend Zeit war und somit keine Gefahr im Verzug bestand. Aber selbst das Landgericht verneinte, dass dies ein Verfahrensfehler von ausreichendem Gewicht für den Vorwurf der Rechtsbeugung sei (Urteil, S. 125).

Wird eine vorgeschriebene Anhörung vor einer Entscheidung wegen Gefahr im Verzug unterlassen, muss sie unverzüglich nachgeholt werden (§ 159 Abs. 3 Satz 2 und § 160 Abs. 4 FamFG). Ergibt sich dann ein anderes Bild, kann und muss die Entscheidung von Amts wegen korrigiert werden (§ 54 Abs. 1 FamFG). Wenn das Unterlassen der vorherigen Anhörung ein elementarer Rechtsverstoß im Sinne des § 339 StGB sein soll, müsste – da auch die Folgen eines Rechtsverstoßes bei der Beurteilung zu berücksichtigen sind (7) – auch etwas dazu gesagt werden, ob die Anhörung etwas an der Entscheidung geändert hätte. Hiervon ist nicht auszugehen: Richter Dettmar war aufgrund der Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass die Maskenpflicht in der Schule das Wohl der davon betroffenen Kinder gefährdete, so dass für ihn das individuelle subjektive Empfinden der Kinder, das sie oder ihre Eltern in der Anhörung hätten äußern können, nicht entscheidend war (8)…. Eine weitere Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör soll darin liegen, dass die Beteiligten die Gutachten vor der Entscheidung nicht erhalten haben und sich nicht dazu äußern konnten. Dies kann jedoch den Vorwurf der Rechtsbeugung schon deshalb nicht stützen, weil im einstweiligen Verfügungsverfahren, das durch die Eilbedürftigkeit bestimmt ist, keineswegs allen Beteiligten vor der ersten Entscheidung rechtliches Gehör zu allen vom Gericht erwogenen Tatsachen gewährt werden muss. Auf Antrag der Beteiligten nach § 54 Abs. 2 FamFG hätte eine mündliche Verhandlung durchgeführt und auf der Grundlage der mündlichen Verhandlung eine neue Entscheidung getroffen werden müssen. In diesem Zusammenhang wäre dann auch das Recht auf Anhörung zu den Sachverständigengutachten gewährt worden.

Niemals ausreichend für eine Anklage wegen Rechtsbeugung

Die Quintessenz:

Aus Sicht des Senats ist Richter Dettmar vorzuwerfen, dass er keinen Aktenvermerk über die Anregung des Verfahrens gemacht und den Verdacht einer Kindeswohlgefährdung bejaht hat, dass er maßnahmenkritische Sachverständige beauftragt hat, obwohl die Gutachten selbst – schon mangels Befassung mit ihnen – inhaltlich nicht zu beanstanden sind, und schließlich, dass er den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat, weil er vor Erlass der Entscheidung keine persönliche Anhörung durchgeführt und den Beteiligten kein Anhörungsrecht zu den Gutachten eingeräumt hat.

Das ist alles, was der Senat ihm an konkreten Verfahrensverstößen vorzuwerfen hat, und das reicht, selbst wenn man alle drei Vorwürfe mit dem Senat für begründet hielte, für einen Vorwurf der Rechtsbeugung nach den bisherigen Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs niemals aus. Es bedarf eines übergreifenden Vorwurfs, mit dem die Verfahrensverstöße und dann auch das gesamte Verfahrensverhalten von Richter Dettmar moralisch so stark aufgeladen werden können, dass jemand, der die Tatbestände der Rechtsbeugung nicht selbständig prüfen kann, den Eindruck gewinnt, Richter Dettmar habe tatsächlich etwas für einen Richter absolut Unverzeihliches getan (9).

Dieser übergreifende Vorwurf ist der der Verletzung des Gebots der richterlichen Neutralität. Die angeblichen Verfahrensverstöße werden als Verstöße gegen dieses Gebot gerahmt (Rn. 48), dann wird die „überragende Bedeutung“ der richterlichen Neutralität „für den Rechtsstaat und das Vertrauen der Bürger in seinen Bestand“ hervorgehoben und dem Angeklagten vorgeworfen, er habe „die ihm von der Verfassung verliehene Machtposition als Richter missbraucht“ (Rn. 49). An dieser Stelle löst sich die Argumentation von den konkreten Einzelvorwürfen, das gesamte Verhalten des Angeklagten wird – wie in der Urteilsbegründung des Landgerichts – in das düstere Licht eines Verstoßes gegen das Neutralitätsgebot gestellt.

Lesen Sie mehr hierzu (www.achgut.com)

Fußnoten:

(1) Das Urteil ist nicht in der juristischen Datenbank juris veröffentlicht, wurde aber von dem Verteidiger von Richter Dettmar auf seiner Website eingestellt.

(2) Guericke: Nur ein Schwächeanfall der Justiz? Noch einmal: Das Urteil des Landgerichts Erfurt gegen Christian Dettmar, Abschnitt 3 a.

(3) Dass bei einem Kinderschutzverfahren von einem Richter Neutralität gar nicht erwartet werden kann, nur Objektivität bei der Behandlung der Sache, wurde hier Abschnitt 3 d bereits näher dargelegt. Ausführlich dazu auch Hoven/Rostalski, Grenzen der Rechtsbeugung bei der Annahme von Befangenheit, NStZ 2024, 65.

(4) Vielleicht ist das auch kein Zufall. Wenn der Senat den Tatvorwurf darin sehen würde, dass Richter Dettmar zur Selbstanzeige verpflichtet gewesen sei und diese unterlassen habe, würden sich beim Vorsatz unüberwindbare Schwierigkeiten auftun: Dann müsste dem Angeklagten nachgewiesen werden, dass er sich mindestens (d. h. bei Eventualvorsatz) bewusst gewesen sei, möglicherweise zur Selbstanzeige verpflichtet zu sein, den Pflichtverstoß aber billigend in Kauf genommen habe. Dazu hat das Landgericht aber keine Feststellungen getroffen und es spricht auch nichts dafür, dass diese bei Rückverweisung getroffen werden könnten.

(5) Alle Angaben von Randnummern im Folgenden beziehen sich auf die Veröffentlichung des Urteils auf der Website des Bundesgerichtshofs bzw. bei juris (die Bezifferung mit Randnummern ist identisch). Das Urteil ist (mit abweichenden Randnummern) auch bei openJur.de veröffentlicht.

(6) Der Senat schreibt selbst, die Bestimmungen über das Verfahren im FamFG setzten das „unausgesprochen“ voraus (Rn. 41).

(7) Dazu sogleich näher.

(8) Es ist in der familiengerichtlichen Praxis im Übrigen keine Seltenheit, dass einstweilige Anordnungen (meist auf Anregung des Jugendamtes) ohne vorherige Anhörung der Beteiligten ergehen und diese erst später nachgeholt werden. Wenn die Staatsanwaltschaften in allen diesen Fällen die familiengerichtlichen Akten anfordern würden, um zu prüfen, ob tatsächlich Gefahr im Verzug vorlag oder die Anordnung nicht noch einige Tage hätte warten und in dieser Zeit die Anhörung durchgeführt werden können, würden sie bei den Familienrichtern vermutlich auf vollkommenes Unverständnis stoßen.

(9) Auch Juristen können dieser Suggestion zum Opfer fallen: Die Juristin und Journalistin Tanja Podolski, die auf LTO mehr als 15 Artikel zum Fall Dettmar veröffentlicht hat, hat sich in einem ungewöhnlich emotionalen Artikel vom 21.11.2024 „fassungslos“ darüber gezeigt, dass es Juristen gibt, die die Entscheidung des BGH nicht für richtig halten. Es sei die Verantwortung aller Juristen – nur die Verteidiger von Richter Dettmar nimmt sie aus –, sich hinter dieses Urteil zu stellen. Dabei greift sie auch renommierte Professoren wie Volker Boehme-Neßler, Elisa Hoven und Frauke Rostalski an. Kritik an dem Urteil gegen Richter Dettmar stellt für sie ihr eigenes Selbstverständnis, die Arbeit der Redakteure von LTO und den Rechtsstaat in Frage.

(10) BGH, 13.05.2015, 3 StR 498/14, juris Rn. 12; BGH, 21.01.2021, 4 StR 83/20, juris Rn. 23; BGH, 18.08.2021, 5 StR 39/21, juris Rn. 32; BGH, 14.09.2017, 4 StR 274/16, juris Rn. 19 f; BGH, 15.08.2018, 2 StR 474/17, Rn. 20; BGH, 29.11.2022, 4 StR 149/22, juris Rn. 14 f und BGH, 18.04.2024, 6 StR 386/23, juris Rn. 23.

(11) Eine im gesamten Urteil durch nichts belegte Behauptung!

(12) Nur um Missverständnisse zu vermeiden: Selbstverständlich ist der BGH nicht an seine eigene Rechtsprechung „gefesselt“. Er kann eine ständige Rechtsprechung zu einer bestimmten Frage aufgeben, dies muss aber explizit gemacht und begründet werden. Das ist hier aber nicht passiert. Der Senat stellt die Verbindlichkeit der ständigen Rechtsprechung nicht in Frage, um im nächsten Moment eine Ausnahme zu behaupten, die es aber nicht gibt, solange diese Rechtsprechung noch gilt.

(13) Zwei Andeutungen an dieser Stelle: Auch bei der Frage des Taterfolgs weicht der Senat von der ständigen Rechtsprechung des BGH ab, wonach bei Verfahrensverstößen für den tatbestandlichen Erfolg eine konkrete Gefahr einer falschen Endentscheidung erforderlich ist, wenn er jede Verschlechterung der prozessualen Situation eines Verfahrensbeteiligten, d. h. nicht nur solche, die mit der konkreten Gefahr einer falschen Endentscheidung einhergehen, als Erfolg genügen lässt (Rn. 33 und 52). Dies entspricht der Auffassung eines Teils der Rechtslehre (vgl. LK-Hilgendorf StGB § 339, Rn. 87; Matt/Renzikowski/Sinner StGB § 339 Rn. 27), die sich bisher selbst im Widerspruch zum BGH sah. Auch auf dieser Grundlage unterliegt der Senat aber einem Denkfehler, wenn er erklärt, mit dem Erlass der einstweiligen Anordnung habe sich die prozessuale Situation des Freistaates Thüringen verschlechtert, der erst aufgrund der Beschwerdeentscheidung des OLG abgeholfen worden sei (Rn. 52). Die einstweilige Anordnung ist eine Endentscheidung, weshalb es für die Frage, ob sie einen unrechtmäßigen Nachteil darstellt, darauf ankommt, ob sie falsch, d. h. materiell nicht rechtskonform war. Diese Frage hat der Senat aber nicht beantwortet.

(14) Es gab Ausnahmen. Soweit sie sich in veröffentlichten Entscheidungen niedergeschlagen haben, kann man sie aber beinahe an einer Hand abzählen.

(15) An der Praxis der Ersetzung von Beweiserhebung durch Berufung auf – angeblich unabhängige – Autoritäten hat sich bis heute nichts geändert: Aktuell wird in den Impfschadensprozessen von den Gerichten auf eine Beweiserhebung zur Frage des Nutzen-Risiko-Verhältnisses der sog. Coronaimpfungen u. a. mit dem Argument verzichtet, dass die Zulassung der Impfstoffe durch die European Medicines Agency (EMA) beweise, dass es ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis gebe (dazu näher Stöbe: Ein Hürdenlauf gegen die Wand. Zivilrechtliche Haftung bei Schäden durch Covid-19-Impfungen.

(16) Siehe Guericke: Nur ein Schwächeanfall der Justiz? Noch einmal: Das Urteil des Landgerichts Erfurt gegen Christian Dettmar, Abschnitt 3 c. Eine eigene Meinung als Befangenheitsgrund?

Verfügbares Bild: www.eugyppius.com

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