Frankreich bleibt auch nach der jüngsten Regierungsumbildung gelähmt. Die Zeit wird knapp, um die öffentlichen Finanzen zu konsolidieren, bevor sich die Anleihemärkte gegen Paris wenden.
Quelle: Zerohedge.com; Thomas Kolbe (Autor), Tyler Durden, 30. September 2025
Das Amt des Premierministers hat sich zu einer Drehtür entwickelt. In nur drei Jahren hat Präsident Emmanuel Macron fünf Regierungen ohne sichtbare Ergebnisse durchgeboxt. Das Land befindet sich in einer politischen Schockstarre, in der das Parlament scheinbar unüberwindbar feststeckt.
Der Hyper-Staat entsteht
Am 9. September übernahm Sébastien Lecornu von Macrons Renaissance-Partei den vergifteten Kelch von seinem gescheiterten Vorgänger François Bayrou. Wie seine Vorgänger war auch Bayrou an der strukturellen Reformunfähigkeit Frankreichs gescheitert. Das Land unterhält eines der am stärksten aufgeblähten Wohlfahrtssysteme der Welt, mit Staatsausgaben von 57 % des BIP. Dieser überbordende Wohlfahrtsstaat wirkt wie ein Beruhigungsmittel für eine von der Migration getriebene Gesellschaft, die zu einer vollständigen sozialistischen Verwaltung der Wirtschaft übergegangen ist – und nun keinen Ausweg mehr findet.
Frankreich erkauft sich den sozialen Frieden mit immer größeren Summen geliehenen Geldes. Die Strategie hinterlässt tiefe Löcher in den öffentlichen Haushalten und verdeckt kaum die Brüche einer zersplitterten Gesellschaft, in der Klassenkonflikte immer aggressiver werden und islamistische Subkulturen florieren. Mit einer Neuverschuldung von 5,6 % des BIP in diesem Jahr und einer Gesamtverschuldung von 114 % steht Frankreich vor dem klassischen Ponzi-Dilemma: Sobald alte Schulden nicht mehr in neue Emissionen umgewandelt werden können, bricht das gesamte System zusammen.
Märkte konzentrieren sich auf Vermögenswerte, nicht nur auf Verschuldungs-quoten
Solche Krisen beginnen in der Regel mit einem Vertrauensverlust – entweder durch einen politischen Zusammenbruch oder durch die Erkenntnis, dass ein Schuldnerstaat nicht über die realen Vermögenswerte verfügt, um seine Verpflichtungen zu erfüllen. Viele Kommentatoren verweisen auf die noch größere Schuldenlast der USA, aber der Vergleich ist irreführend. Die USA sind die größte Volkswirtschaft der Welt, energieunabhängig und technologisch unangefochten führend. Künftige Produktivitätssteigerungen geben Washington Spielraum, seine Schulden zu stabilisieren. Europa, und insbesondere Frankreich, kann dies nicht von sich behaupten.
Damit steuert eine der zentralen Säulen der EU auf einen Showdown mit den Investoren zu. Und wie immer wird die Europäische Zentralbank gezwungen sein, als letzte Verteidigungslinie einzugreifen, um einen Systemzusammenbruch zu verhindern.
EZB-Feuerwehr: Wiederholung von „Whatever It Takes“
Die EZB hat ein beachtliches Instrumentarium entwickelt: Käufe von Staatsanleihen auf den Sekundärmärkten (SMP/OMT), massive Medienkampagnen, Liquiditätsspritzen für Banken und Zinsmanöver. Offiziell sind solche Interventionen an Spar- oder Reformauflagen unter Aufsicht der EU oder des IWF geknüpft. In der Praxis werden diese Auflagen zu Plattitüden verwässert. Die Haushaltskonsolidierung ist zu einem theoretischen Konstrukt geworden – eine rituelle Aussage auf Gipfeltreffen, die die Realität des Kontrollverlusts verschleiern soll.
Die EZB kann auch die Leitzinsen senken oder die Banken mit kurzfristiger Liquidität überschwemmen, um eine Kreditklemme und eine Ansteckung zu verhindern. Dies führt jedoch zu einer tieferen Falle: Jede Intervention untergräbt die Geldwertstabilität und die Haushaltsdisziplin weiter. Die Eurozone überlebt nur noch unter permanenter monetärer Betäubung.
Lecornu erbt einen vergifteten Kelch
Seit Sommer 2024 läuft gegen Frankreich ein EU-Defizitverfahren, neben sechs weiteren Verstößen gegen die Maastricht-Regeln. Doch das Verfahren ist zahnlos. Niemand in Brüssel oder Paris tut so, als sei der alte Stabilitätspakt noch von Bedeutung. Die EU ist zu einer Schuldenunion geworden. Ihre politische Klasse geht davon aus, dass die Druckerpresse der EZB ihre Defizite auf unbestimmte Zeit decken wird.
Lecornus „Reform“-Strategie ist die gleiche Geschichte: Steuererhöhungen statt Strukturwandel. Die Regierung plant, das Defizit von 5,4 % im Jahr 2025 auf unter 3 % im Jahr 2029 zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, strebt Paris „Einsparungen“ in Höhe von 44-50 Milliarden Euro an: 30 Milliarden Euro durch Ausgabenkürzungen und 20 Milliarden Euro durch neue Abgaben. Die Unternehmenssteuern, deren Abschaffung geplant war, werden bis 2030 verlängert. Spitzenverdiener werden mit einer Sondersteuer belastet (250.000 € für Alleinstehende, 500.000 € für Paare). Die Energieverbraucher werden mit höheren Kosten für Strom, Gas und Flugreisen konfrontiert. Auch multinationale Unternehmen werden mit neuen Zusatzsteuern belastet.
Dies ist eine „Konsolidierung“ im europäischen Sinne: mehr Einnahmen, keine echte Reform. Die Strategie zielt darauf ab, soziale Ruhe zu erkaufen und gleichzeitig die Anleihemärkte zu beruhigen – ein unmöglicher Balanceakt.
Die Märkte signalisieren bereits Unruhe
Ob Lecornu politisch überzeugen kann, ist zweifelhaft. Die Anleihenmärkte stimmen bereits ab. Die Renditen 10-jähriger französischer Anleihen, die noch im Jahr 2020 negativ waren, liegen jetzt bei 3,57 % und damit auf dem höchsten Stand seit einem Jahrzehnt. Die Renditenaufschläge gegenüber deutschen Bundesanleihen sind von weniger als 30 Basispunkten vor einigen Jahren auf 75-80 Basispunkte angestiegen. Die Anleger sehen in französischen Papieren ein wachsendes Risiko, das das finanzpolitische Chaos und die politische Lähmung widerspiegelt.
Rechnet man die Inflation heraus (offiziell ~3 %, realistischerweise höher), so hat die Eurozone nach Jahren der Null- oder Negativpolitik nun positive Realzinsen. Dies offenbart die Zombifizierung ihrer Volkswirtschaften. Die jahrelange künstliche Stützung hat dazu geführt, dass der öffentliche und der private Sektor zu schwach sind, um unter realen Marktbedingungen Schulden zu machen.
Zombie-Wirtschaft ohne Zukunft
Das Modell der Eurozone – zentralisierte Kontrolle, endlose Schulden, ständige EZB-Interventionen – stößt an seine Grenzen. Frankreich ist ein Beispiel für das Ergebnis: ein aufgeblähter Wohlfahrtsstaat, eine kollabierende Wettbewerbsfähigkeit und eine Schuldenlast, die nur noch erhöht werden kann, bis die Märkte „genug“ sagen.
Erwarten Sie nicht, dass Washington Europa retten wird. Dollar-Swap-Linien der Fed sind für wichtige Verbündete wie Japan reserviert. Europa wird nicht mehr als privilegierter Partner angesehen, insbesondere nach Brüssels feindseligem Digital Services Act und Digital Markets Act. In Washington sieht man Brüssel eher als Bittsteller zweiter Klasse denn als systemischen Verbündeten.
Die Lektion ist einfach: Wenn man reale Risiken lange genug ignoriert und sie mit monetärem Morphium übertüncht, ist ein spektakulärer Ausbruch garantiert. Frankreich scheint der wahrscheinlichste Auslöser zu sein – eine systemische Krise, die sich wie ein Lauffeuer in der Eurozone ausbreiten wird.
Über den Autor: Thomas Kolbe, deutscher Diplom-Volkswirt, arbeitet seit über 25 Jahren als Journalist und Medienproduzent für Kunden aus verschiedenen Branchen und Wirtschaftsverbänden. Als Publizist beschäftigt er sich mit wirtschaftlichen Prozessen und beobachtet das geopolitische Geschehen aus der Perspektive der Kapitalmärkte. Seine Publikationen folgen einer Philosophie, die den Menschen und sein Recht auf Selbstbestimmung in den Mittelpunkt stellt.




